Praise & Worship: Christliche Popularmusik im Gottesdienst
Autor: Prof. Dr. Helge Stadelmann
Pastor Christuskirche, EFG Hohenahr-Erda
Professor für Praktische Theologie, FTH Gießen
„Jede Generation muss ihre eigene Ausdrucksmöglichkeit entwickeln, gleichzeitig aber auch das genießen, was an Reichtum da ist von früheren Generationen“, so antwortet Marion Warrington 2003 in einem Interview auf die Frage, ob Praise & Worship-Musik (P&W) sich nur deshalb ab 1970 in so starkem Maße durchgesetzt habe, weil die Gemeinden Defizite (hinsichtlich der bisherigen Kirchenmusik) empfunden hätten.(1) Warrington, die als Mitbegründerin des P&W im deutschen Sprachraum gelten kann(2), lässt sich in ihrer Antwort auf kein Entweder – Oder ein.
Neu entstehende geistliche Musik einerseits und das reiche kirchenmusikalische Erbe andererseits dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden!
Neu entstehende geistliche Musik einerseits und das reiche kirchenmusikalische Erbe andererseits dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden! Es müsse aber als normal gelten, dass für den gottesdienstlichen Gebrauch auch zeitgenössische Lieder entstehen, die die Gestaltungsmittel ihrer Zeit verwenden: „Schauen Sie William Booth an oder Luther, die haben Melodien, die das Volk gerne gesungen hat, benutzt, weil jede Musik etwas Dynamisches ist… (Sie) entwickelt sich durch die Generationen, und jede Generation wird ihre Popmusik haben.“(3) Warrington spielt hier offensichtlich an auf den Gebrauch von Blasund Gitarrenmusik in den Gottesdiensten der durch W. Booth (1829-1912) gegründeten Heilsarmee sowie auf die Übernahme von Volksliedern durch Martin Luther – wie sein Weihnachtslied „Vom Himmel hoch da komm ich her“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 24), dessen Text er ursprünglich mit der Melodie des populären Reigenliedes „Ich komm’ aus fremden Landen her“ versah.4 Nach Warrington haben wir es bei der Entstehung und Verbreitung des P&W also mit etwas ganz Normalem zu tun: Jede Generation mit einer lebendigen Spiritualität schafft neues Liedgut als Teil ihres Gottesdienstes und verwendet dazu die musikalischen Signaturen ihrer Zeit. Aber diese beständige Innovation und Akkulturation ist nicht als Verdrängungswettbewerb zu sehen. Es ist möglich, zugleich den Blütencharme des Neuen und den tief wurzelnden Reichtum des Alten wertzuschätzen.
Kontroversen
Wenn es denn immer so einfach wäre! Doch, wenn es um Musik geht, scheinen Kontroversen die Regel zu sein – in Geschichte oder Gegenwart, in der Gemeinde vor Ort wie in der Literatur. Musik involviert Menschen emotional, tangiert den Geschmack, schafft damit tief in der eigenen Sozialisation verankerte Vorlieben und Abneigungen und sorgt so für kategorischere Urteile als andere Themen. Nicht erst seit dem Aufkommen verschiedener Formen christlich-zeitgenössischer Musik (der sog. Christian Contemporary Music) ist das so. Es scheint vielmehr ein die Zeiten überdauerndes Konfliktmuster zu sein. Hundert Jahre vor dem Aufkommen des P&W entstanden in der Erweckungs- und Heiligungsbewegung des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss volkstümlicher säkularer Musik die sogenannten „Heils- und Glaubenslieder“. Daraufhin mussten sich die Erweckten für ihr akkulturiertes neues Liedgut gegenüber den Vertretern des klassischen kirchlichen Chorals rechtfertigen. So schrieb der Liederdichter Ernst Heinrich Gebhardt im Vorwort des von ihm 1870 herausgegebenen Liederbuchs Zions Perlenchöre:
„[…] sollen wir denn der Welt und dem Teufel alle die schönen Melodien überlassen? Ist es nicht besser, wir entreißen dem Feinde, was wir können, und benutzen das, was dieser Seelenverderber ursprünglich dem Herrn geraubt und wider Gottes Zeug geschmiedet hatte, zu Förderung der Gottseligkeit? … Wer wollte auch nur das als heilige, geistliche Musik gelten lassen, was sich in der stereotypen Form jenes nicht selten noch dazu oft so unnatürlich schleppend abgeleierten, langsam in halben Noten einhergehenden Styls bewegt? … Der geistliche Sinn eines Textes, sowie der Heilige Geist, in dem der fromme Sänger ein Lied singt, heiligt allein die hiezu gebrauchte Musik und macht diese unter solchen Umständen unbedingt zu einer geistlichen zum Unterschied von der profanen.“(5)
Musik involviert Menschen emotional, tangiert den Geschmack, schafft damit tief in der eigenen Sozialisation verankerte Vorlieben und Abneigungen und sorgt so für kategorischere Urteile als andere Themen. Nicht erst seit dem Aufkommen verschiedener Formen christlich-zeitgenössischer Musik ist das so. Es scheint vielmehr ein die Zeiten überdauerndes Konfliktmuster zu sein.
Als 100 Jahre später im Rahmen der Jesus-People-Bewegung Musiker der Pop-Szene Christen wurden und nun als Synthese zwischen säkularer Instrumentierung und christlichen Texten den sog. „God-Rock“ schufen, dichtete der christliche Songschreiber Larry Norman – ganz parallel zu Ernst Gebhardts Formulierung – den programmatischen Liedertitel „Why should the Devil have all the good Music?“.6 Für diese Musiker war es ganz selbstverständlich, ihren Glauben musikalisch in dem Stil auszudrücken, in dem sie künstlerisch zuhause waren. Ein Beispiel dafür ist der jüdisch-amerikanische Pianist, Komponist und Sänger Keith Green (* 1953), der bereits mit 11 Jahren Verträge mit der American Society of Composers, Authors, and Publishers (ASCAP) sowie der Plattenfirma Decca Records erhielt, mehr als 50 Lieder veröffentlichte, dann 1974 Christ wurde und bis zu seinem Unfalltod 1982 mit seiner Frau Melody zahlreiche Anbetungslieder publizierte wie „Oh Lord, you´re beautiful“, „There is a Redeemer“, „Create in me a clean Heart“ – oder auch Gospelrock-Songs wie „You put his Love in my Heart“ und „Your Love came over me“.(7)
Doch hatte christliche Popmusik von Anfang an auch dezidierte Gegner. Für sie stellt die Kombination unterschiedlicher Stilarten von Popularmusik und christlicher Lyrik eine illegitime Vermischung von Sakralem und Säkularem dar, ja sie sehen bei den verschiedenen Formen von Rock- und Popmusik gar heidnische Wurzeln und in der Folge dämonische Einflüsse am Werk.(8)
Wieder andere lehnen Pop(ular)musik vor allem als für den Gottesdienst unangemessen ab. Für sie bedeutet Pop im Gottesdienst den Einbruch einer Trivial- und Fast-Food-Kultur in die Kirche, die im Kontrast zum Schwarzbrot hochkultureller Kirchenmusik steht.(9) Die Heiligkeit
des Gottesdienstes und die Profanität zeitgenössischer Musik passten nicht zusammen.(10) Dem gegenüber erhebt Hanns Kerner den Einwand:
„Klischees von Fast Food und Schwarzbrot … reichen da noch nicht zur Einordnung. […] Ist die Ewigkeitstauglichkeit beschränkt auf bestimmte Formen der Musik? Entscheiden diejenigen, die Gesangbücher erarbeiten und beschließen und zumeist in fortgeschrittenem Alter sind, über die Einordnung von Fast Food und Schwarzbrot? … Erfüllt das einfache Lobpreislied das Kriterium des Ewigkeitstauglichen u. U. mehr als ein vom Text her dem Laien unverständliches und von der Musik her nur für den Chorsänger mitsingbares Gesangbuchlied, das außer dem Pfarrer und dem Kantor niemand kennt?“(11)
Man könnte in diesem Zusammenhang in der Tat fragen, ob christliche Gottesdienste nur etwas für den Geschmack von Angehörigen des Niveaumilieus sein sollen und ob bestimmte Stilepochen westlicher Musikgeschichte allein das Material für den kirchlichen Gebrauch liefern dürfen. Müssen christliche Traditionen nicht immer neu kontextualisiert werden? Ralph Kunz gibt in diesem Zusammenhang grundsätzlich zu bedenken:
„Die Popularisierung der Tradition ist immer mit dem Risiko ihrer Trivialisierung und Banalisierung verbunden […]. Wer [aber] nur vor der Verbiederung, Verdummung und Verflachung der Liturgie zu warnen weiß, läuft Gefahr, den Radius des Heiligen zu sehr einzuschränken. Das Heilige hat wie das Populäre kein eigenes Milieu. Es ist ein transkulturelles Phänomen. […] Es gibt keinen Grund, die Beteiligung, Begeisterung und Bewegung, kurz die Lebenslust, die in der profanen Popularkultur auffindbar ist, aus dem Gottesdienst auszusperren.“(12)
Gerade wenn heute Menschen bis hin zum Eintritt in das Rentenalter in der sie seit Kindheit umgebenden Musikkultur von unterschiedlichen Stilarten der Popularmusik geprägt wurden, stellt sich die Frage, ob nicht Vielen der Zugang zu christlichen Gottesdiensten verbaut wird, wenn sie dort nur Elemente traditioneller Kirchenmusik vorfinden. Wolfgang Teichmann vertritt dem gegenüber die These, dass die vermehrte Verwendung der Signaturen populärer Musik in Gottesdiensten vielen Zeitgenossen eine gottesdienstliche Beheimatung schenken könnte, die sie darüber hinaus bereit und fähig machen würde, sich auch den ihnen zunächst fremden Elementen gottesdienstlicher Musik von der Gregorianik bis zum klassischen Choral zu öffnen. Teichmann plädiert daher für die Einbeziehung popularmusikalischer Stile – über das inzwischen in die Jahre gekommene `Neue Geistliche Lied´ hinaus – in die Gottesdienstkultur.(13) Doch auch er leistet seinen Beitrag zur kirchenmusikalischen Kontroverse, indem er die in der gesamten westlichen und südlichen Hemisphäre zumindest in evangelikal bzw. charismatisch geprägten Gemeinden, Denominationen und Konfessionen(14) verbreitete P&W-Musik mit keiner Silbe erwähnt – ganz so, als gäbe es diese Kirchenmusikrichtung international und im deutschsprachigen nicht.(15) Man kann möglicherweise auch durch Ignorieren kommentieren – es sei denn, man hätte als fachlich gut über populäre Kirchenmusik informierter Kirchenmusikdirektor in der Tat von P&W nie gehört.
Säkularisierung und Resakralisierung
Wie oben ausgeführt, wird zeitgenössische christliche Popularmusik im allgemeinen und P&W im besonderen gelegentlich mit dem Argument abgelehnt, sie stellten nur Stilimporte aus der säkularen Musikszene in den kirchlichen Bereich dar, was dann als Verweltlichung des Christlichen kritisiert wird. Betrachtet man aber die Vorgeschichte der sich seit den 1950er Jahren entwickelnden Rock- und Popmusik, stößt man bei genauem Hinsehen auf christliche Wurzeln.(16) Das `Verweltlichungs´-Argument erweist sich angesichts dessen schon historisch als zu undifferenziert – ganz abgesehen von Fragen nach der grundsätzlichen Legitimität und Notwendigkeit der Inkulturation des Evangeliums zu allen Zeiten. Nach der Einführung der Sklaverei in den Amerikas der Neuzeit entsteht in einem 150 Jahre dauernden Akkulturationsprozess zunächst unter den Sklaven Nordamerikas ein neuer christlicher Musikstil. Im Unterschied zu den Sklaven Brasiliens und der Karibik, die ethnische Einheiten bildeten und ihre animistischen Kulte, teils in synkretistischer Form beibehielten, erlitten die als Sklaven aus West- und Zentralafrika nach Nordamerika verschleppten Schwarzen wegen der bewussten Durchmischung von Ethnien, Sprachgruppen und Sippen einen religiösen und kulturellen Traditionsabbruch, der sie für den christlichen Glauben empfänglich machte.(17) Zugleich blieben sie, ihren afrikanischen Wurzeln entsprechend, eine singende Gemeinschaft. Elemente afrikanischer Musik (Polyrhythmik, Synkopik, call-andresponse, Improvisation) mischten sich bald mit europäischen Einflüssen wie irischer Volksmusik. Im Bereich christlicher Musik wurde zunächst der von den puritanischen und hugenottischen Herren praktizierte calvinistische Psalmengesang, für den mangels Liederbüchern typisch war, dass ein Vorsänger zeilenweise vor- und die Gemeinde nachsang, von christlichen Sklaven im Sinne des call-and-response aufgegriffen und begeistert rezipiert. John Wesley berichtet darüber in seinem Tagebuch, indem er aus dem Brief eines Zeitgenossen zitiert:
Diese `Spiritual Songs´ wurden in der Folge von den christlichen Sklaven akkulturiert, die sie mit der ihnen eigenen Emotionalität, Rhythmik und Bewegung sangen. Sie komponierten zudem eigene Lieder, in denen sie ihr Erleben aus dem Glauben heraus verarbeiteten.
„Manchmal, wenn ich um zwei oder drei Uhr morgens aufwachte, drang ein reißender Strom von Psalmengesang in meine Kammer. Einige von ihnen brachten die ganze Nacht damit zu.[…] Sie finden im Psalmsingen eine Art ekstatischen Entzückens.“(18) Ab 1734 wurden viele Afroamerikaner dann von der großen Erweckung (Great Awakening) erfasst. Die neuen Lieder, die Jonathan Edwards, George Whitfield sowie John Wesley aus England mitbrachten, waren nun nicht mehr Psalmengesänge, sondern drückten aktuelle geistliche Erfahrungen mit eingängiger Melodik aus. Diese `Spiritual Songs´ wurden in der Folge von den christlichen Sklaven akkulturiert, die sie mit der ihnen eigenen Emotionalität, Rhythmik und Bewegung sangen. Sie komponierten zudem eigene Lieder, in denen sie ihr Erleben aus dem Glauben heraus verarbeiteten. So entwickelten sich im 19. Jahrhundert die `Negro Spirituals´ als eine christliche Form von Musik, in der afrikanische und europäische Stilmittel zur Synthese gebracht waren und die zur Vorform der Gospelmusic wurde.(19)
Aufgrund ihrer Popularität wanderte diese religiöse Musik dann in einem Entsakralisierungs- und Säkularisierungsprozess aus dem christlichen Bereich in zahlreiche säkulare Stilformen aus wie Blues, Country-Blues, Ragtime, Jazz, Swing und Soul sowie – über Rythm & Blues samt Elementen des Country & Western-Styles – in den Rock´n´Roll. Die ursprünglich sakrale Musik wurde auf diesem Weg entsakralisiert(20).
In den 1960er Jahren dann kam es im Rahmen des God-Rock bzw. Jesus-Rock und erster christlicher Bands wie der Gruppe „Love Song“ zu einer Resakralisierung dieser Popularmusik, die damit wieder mit ihren Wurzeln in Berührung kam. Auf diesen Entsäkularisierungs- und Resakralisierungsprozess wirkte die zeitgenössische Spiritual- und Gospelmusik verstärkend ein, die in den 1950er und `60er Jahren auch in Deutschland populär wurde. Die Rezeption von Jazz-Elementen in die Kirchenmusik sowie von angelsächsischer Rock- und Popmusik durch die junge Generation von Christen in allen westlichen Ländern, wirkte sich unmittelbar auf die Entstehung neuer Formen zeitgenössischer christlicher Musik aus.(21) Vor diesem Hintergrund ist seit etwa 1970 die Entstehung und rasche Verbreitung des P&W im deutschsprachigen Raum zu verstehen.
Praise & Worship-Musik
Die Bezeichnung „Pop(ular)musik“ hat sich seit den 1970er Jahren zu einem Oberbegriff für sehr unterschiedliche und zum Teil in Abgrenzung zueinander stehende Musikrichtungen entwickelt.(22) Merkmale sind u.a. leichte Konsumierbarkeit, weite Verbreitung speziell durch die elektronischen Medien, Instrumentierung mit Bandinstrumenten (Gitarren, perkussiven Instrumenten, Bass, Keyboard), Rhythmusbetonung (Offbeat, Backbeat) und einfache Form (Strophen, Refrains, Überleitungen). Die „Christlich-zeitgenössische Musik“ (Christian Contemporary Music) weist in vielen Bereichen Schnittflächen mit Stilformen der säkularen Pop(ular)musik auf. Auch hinsichtlich ihrer Verbreitung darf die „Christian Contemporary Music“, gerade in den U.S.A., nicht unterschätzt werden. Wie die Journalistin Susanne Ostwald berichtet, „verkauft sich beispielsweise die sogenannte CCM (Christian Contemporary Music) in den USA inzwischen etwa doppelt so gut wie die enorm populäre Latino-Musik – und erzielt einen grösseren Umsatz als Klassik und Jazz zusammen.“(23) – Eine wesentliche, ausschließlich auf sakraler Ebene angesiedelte Subkategorie der „Christlich-zeitgenössischen Musik“ ist die sog. Anbetungsmusik bzw. „P&W“. Vorläufig bietet sich die Bezeichnung „P&W“ mangels einer besseren Bezeichnung nach wie vor an, obwohl die Engführung auf Lobpreis und Anbetung den tatsächlichen Inhalten des Musikgenres nur teilweise gerecht wird. Bei ihrer Entstehung um 1970 spielte das (individuelle und gemeinschaftliche) Preisen Gottes zwar eine wesentliche Rolle. Für Marion Warrington muss ein gutes Anbetungslied „ein Lied sein, wodurch eine Person die Wahrheit über Gott zum Ausdruck bringt [… Es] muss Lobpreis und Anerkennung über Gott zum Ausdruck bringen. Es soll ein Lied sein, das Menschen gebrauchen können, um das, was wirklich in ihrem Herzen, in ihrem Kopf, in ihrem Verstand ist, zum Ausdruck bringen“.(24) In den 1980er Jahren kam es nach Warringtons Empfinden mit der mehr seelsorgerlich ausgerichteten Vineyard-Bewegung zu einer zu sehr am eigenen Befinden ausgerichteten anthropozentrischen Betonung.(25) Martha Trömel, die seit den Anfängen in den 1970er Jahren die neuen Lieder zu sammeln begann und die Lieder der ersten dreißig Jahre dann mit ihrem Mann, Pfr. Helmut Trömel, in vier umfangreichen Liederbänden unter dem Titel „Du bist Herr: Anbetungslieder“ veröffentlichte(26), ging es – gerade als Mitglied der charismatischen Bewegung – um eine
christozentrische Ausrichtung der Lieder: „Wir wollten von Anfang an betonen, dass es um Jesus allein geht, und das ganze nicht so sehr nur in Richtung Heiliger Geist abdriften sollte“, sagte sie in einem Interview.(27) Dass das Themenspektrum der von ihr gesammelten Lieder
aber mehr als nur „Anbetung“ umfasste, war Martha Trömel klar:
„Eigentlich habe ich alles da mit eingeschlossen, was man da in diesen Gottesdiensten braucht, und das sind z.T. Bitten, meistens schon von der Form her Gebetslieder, aber mit ganz breitem Inhalt, nicht bloß Lob und Dank. Das sieht man auch hier im Inhaltsverzeichnis, was das hier für Themen sind: Proklamation, Sendung, Stille Zeit, Bitten, Buße, Gott suchen.“(28)
Die qualitative und quantitative Analyse(29) eines der neuesten Liederbücher des P&W(30) hat diesbezüglich u.a. ergeben: Inhaltlich handelt es sich tatsächlich zu einem großen Teil um Anbetungs- bzw. Lobpreislieder, hinzu kommen Bekenntnislieder, Bitt- und Danklieder sowie Lieder zur Christusnachfolge und Hingabe. Nicht wenige der Lieder sind Vertonungen von Bibeltexten, also Bibellieder. Der Trend geht gegenüber den Anfängen zunehmend zu deutschen Liedern, also nicht nur Übersetzungen aus dem Englischen, wobei die wesentlichen Autoren Albert Frey, Arne Kopfermann, Lothar Kosse und Martin Pepper sind. Häufig vertretene englischsprachige Künstler sind Brian Doerksen und Matt Redman. Während die Lieder der 1970er Jahre einfache Melodien und eine ruhige Charakteristik hatten, weisen manche Kompositionen seit den 1980er Jahren kompliziertere Rhythmen und Melodien auf, was ihre Singbarkeit erschwert. Dennoch ist der Stil insgesamt „in der moderaten Mitte eines `soften´ bis leicht rockigen Popsounds“ angesiedelt; die Lieder haben einen einfachen, eingängigen Aufbau.(31) Biblische Metaphern, Hoheitstitel und Theologumena werden oft unerklärt und unkontextualisiert übernommen, so dass sich immer wieder eine schwer vermittelbare Insider-Sprache ergibt.(32) Doch nimmt die sprachliche Sorgfalt in der Lyrik – zumindest bei den bekannteren Liedtextern – kontinuierlich zu. Werden die P&W-Lieder in einer gottesdiensttauglichen Lautstärke und ohne provokante instrumentale Verzerreffekte gespielt, haben sie das Potential, ein relativ breites Spektrum von Gottesdienstbesuchern im gemeinsamen Gesang zu integrieren – zumindest in solchen Gemeinden, deren Teilnehmer nicht mehrheitlich jenseits des Renteneintrittsalters sind. Denn von den „Babyboomern“ der 1950er und frühen `60er Jahre bis zur nach 1980 geborenen „Generation Y“ sind Menschen verschiedener Milieus zumindest in ihrer Jugend durch unterschiedliche Stile von Pop(ular)musik geprägt worden und hören sie (von Ausnahmen abgesehen), wann immer sie das Autoradio einschalten. Dabei schließt solch eine Teil-Sozialisation durch Pop(ular)musik nicht aus, dass die Betreffenden – je nach Milieu – zusätzlich ganz andere Musikstile schätzen oder präferieren. P&W-Lieder haben damit aber die Chance, das Kriterium der Zeittauglichkeit für den Gottesdienst zu erfüllen. Doch erfüllen sie auch das Kriterium ewigkeitstauglich zu sein?(33) Dies ist vor allem eine Frage an die Texte. Bringen sie Glaubensinhalte zur Sprache, die über das Zeitliche und Zeitgemäße hinausweisen? Man wird das P&W-Liedern nicht wirklich absprechen können; das Problem liegt – wie oben angedeutet – eher darin, dass biblische Sachverhalte häufig `unübersetzt ´ in einer nur Insidern verständlichen Diktion dargeboten werden. Hinsichtlich der Inhalte und ihrer Ausdrucksformen sind vor allem zwei Gesichtspunkte zu bedenken:
Zum einen handelt es sich um eine Quantität an zeitgenössischen Liedern, die unterschiedlicher Qualität sind. Sie wurden noch nicht durch das Sieb der Zeit sondiert. Über Jahrzehnte hin muss der Gebrauch ergeben, welche dieser Lieder man auch dann noch singt und hören kann. Das wird ganz wesentlich von der musikalischen und textlichen Qualität abhängen. Wobei „textliche Qualität“ nicht nur lyrische Qualität bedeutet! Vielmehr wird im Sondierungsprozess – sei es für den jeweiligen gemeindlichen Gebrauch, sei für die Herausgabe künftiger Liedersammlungen – auch die theologische Aussagekraft und Wahrheit dieser Lieder eine Rolle spielen.
Die Produktion zeitgenössischer Lieder wird sich immer wieder an dem Maßstab der christozentrischen Lehrqualität neutestamentlicher Hymnen wie Kol 1,15ff oder Phil 2,5-11 messen lassen müssen.
Die Produktion zeitgenössischer Lieder wird sich immer wieder an dem Maßstab der christozentrischen Lehrqualität neutestamentlicher Hymnen wie Kol 1,15ff oder Phil 2,5-11 messen lassen müssen.(34)
Zum andern deckt P&W, selbst wenn es sich um qualitativ gute Lieder handelt, nur ein bestimmtes Themenspektrum ab. Dieses Spektrum muss – evtl. durch anderes Liedgut – erweitert werden. So findet etwa die Klage in P&W-Liedern kaum einen Raum – ganz im Gegensatz zum biblischen Psalter! Überhaupt können die Lobpreisbetonung und der Schwung mancher neuerer Gottesdienste den Eindruck vermitteln, man müsse als Teilnehmer „gut drauf“ sein, wenn man im Gottesdienst vorkommen wolle. Da hat in der klassischen Liturgie das „Kyrie eleison!“ doch immer zumindest einen kleinen, regelmäßigen Landeplatz für die Gebrochenheiten des Lebens geboten. P&W bedarf der Ergänzung – und zwar gerade angesichts dessen, dass manche freien Gottesdienste nur noch aus den Elementen Kurzpredigt, P&W-Anbetungsteil (mit An- und Zwischenmoderationen) sowie vielleicht noch dem Abendmahl bestehen. Da droht Vereinseitigung.
Integrative Gottesdienste
Das führt uns zu einem Wesensaspekt des Gottesdienstes. Christliche Gottesdienste sind integrativ.(35) Im Gottesdienst ist die aktuelle Gemeinde versammelt, aber immer als Teil des universalen „Leibes Christi“, d.h. als Teil des Volkes Gottes aller Orte und Zeiten. Sonst wäre
es der Gottesdienst einer Sekte! Die Leib-Christi-Repräsentanz der versammelten Gemeinde hat diachrone wie synchrone Aspekte:
In diachroner Hinsicht lässt es sich die Gemeinde für ihren integrativen Gottesdienst zur Gestaltungsaufgabe werden, deutlich zu machen, dass sie in der Tat weiß, dass die Kirchengeschichte nicht erst mit ihr begonnen hat. Sie setzt mithin das Wissen um, dass sie auf dem Fundament der Propheten und Apostel steht, wo Christus maßgebend ist, dass sie einen Glauben bekennt, der durch die Jahrhunderte der eine Glaube war, und dass sie auch in ihrer Musik und ihren Liedern ausdrückt, in der Antwort des gemeinsamen Gesangs mit den vorangegangenen Generationen der Glaubenden verbunden zu sein. Es ist arm, wenn eine Gemeinde nur noch den neusten Liedkreationen nachhechelt. Es ist aber genau so arm, wenn das Liedgut einer Gemeinde lange vor der Zeit der jetzt lebenden Generation abbricht, als gäbe es keinen authentischen Glauben mehr, der zum Lied wird.
[…] denn nach neutestamentlichem Gottesdienstverständnis ist die Verständlichkeit für alle ein Kriterium dafür, was im gemeinsamen Gottesdienst geschehen kann (vgl. 1Kor 14,9-19). Die Gemeinde, die sich synchron als Ganzheit des Leibes Christi vor Ort versteht, widersteht auch der Versuchung, sich bloß einem Milieu, einer Kultur zu verschreiben – auch hinsichtlich ihres Musikstils.
Aber auch synchron versteht sich die versammelte Gemeinde als Teil eines Ganzen. Sie freut sich über Glaubenslieder aus anderen Kulturen und singt sie gemeinsam – übersetzt in die Sprache des Herzens, die Muttersprache, bzw. eine gemeinsame Sprache, die alle verstehen, und nicht in einer Fremdsprache, die Teile der Gottesdienstteilnehmer ausschließt. „Lobpreis“ auf Englisch, der die Seniorengeneration ausschließt, ist dem versammelten Leib Christi nicht angemessen, denn nach neutestamentlichem Gottesdienstverständnis ist die Verständlichkeit für alle ein Kriterium dafür, was im gemeinsamen Gottesdienst geschehen kann (vgl. 1Kor 14,9-19). Die Gemeinde, die sich synchron als Ganzheit des Leibes Christi vor Ort versteht, widersteht auch der Versuchung, sich bloß einem Milieu, einer (Sub- oder Hoch-)Kultur zu verschreiben – auch hinsichtlich ihres Musikstils. Das bedeutet praktisch, dass sie sich einschließlich der Liedpräferenzen um eine möglichst große Schnittfläche bemüht zwischen allen Altersgruppen, Milieus und kulturellen Prägungen und versucht, dass auch musikalisch möglichst Vieles vorkommt, was als gemeinsamer Ausdruck des Glaubens praktiziert werden kann. Bei solcher Liturgie- und Liedgestaltung bleiben weder die einen noch die anderen im Gottesdienst ganz außen vor. Die gottesdienstliche Feier wird zum Alters-, Kultur und Präferenzen überschreitenden Ereignis. Integrative Gottesdienste sind gerade im so emotionsaffinen Bereich der Musik auf Rücksichtnahme angelegt. 1Kor 13 ließe sich gut auf sie hin anwenden: „Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen singen würde und hätte der Liebe nicht, wäre ich nichts. […] Die Liebe baut auf!“ Integrative Gottesdienste bewegen sich innerhalb eines Stilspektrums, das so beschrieben ist, dass es gemeinsam von möglichst allen mitgetragen werden kann. Sie vermeiden jenseits der jeweils vereinbarten Grenzen Extreme, die Gottesdienstteilnehmer auf der einen oder anderen Seite des Alters- oder Milieuspektrums überfordern würden. In sehr vielen Gemeinden kann P&W-Musik einvernehmlich Teil eines solchen Spektrums sein. Das hat diese Musik schon bald aus ihren wohl mehrheitlich charismatischen Ursprungsmilieus herauswachsen und zum populären Element der Gottesdienstkultur vieler christlicher Gemeinden unterschiedlicher Provenienz nicht nur des Westens, sondern auch des globalen Südens werden lassen. Diese Musik bietet von ihrer musikalischen Charakteristik und dem Spektrum ihres Angebots her alle Chancen, Extreme zu vermeiden. P&W ist keine Rock- oder Technoveranstaltung, deren Stil das gemeinsam Vertretbare sprengt.(36) Sie ist nicht an bestimmte konfessions- oder kulturtypische körpersprachliche Ausdrucksweisen wie Hände-Heben, Arme-Recken, Stehen oder sich im Groove der Musik Bewegen gebunden. Sie kann, je nach Gemeinde vor Ort, im Gottesdienst integrativ gebraucht werden. Und es wird in der Verantwortlichkeit der jeweiligen Gemeindeältestenschaft liegen, dass auch bei zeitgenössischen Liedern nur solche Stücke zum gottesdienstlichen Gebrauch kommen, deren Inhalte theologisch `koscher´ sind – wie dies gleichermaßen für Predigten und sonstige Beiträge gelten würde.
Gottesdienstliche Musik und Mission
Andererseits sollte selbstverständlich sein, dass eine Kirche, die der Kommunikation des Evangeliums verpflichtet ist, auch mit ihrer Kirchenmusik dieses Evangelium kommuniziert
Integrative Gottesdienste sind Zielgruppen übergreifendes Zusammenkommen, Auf-Gott-Hören und Gott-Antworten der ganzen Gemeinde. Sie sind zugleich gastfreundlich gegenüber dem Besucher von außen, womit sie dem Vorbild der Gottesdienste der apostolischen Zeit entsprechen.(37) Sollte dieser Gottesdienstbesucher von seiner Biographie her kirchlich sozialisiert sein, wird es ihm oder ihr eine Brücke bauen, hier traditionelle Elemente des christlichen Gottesdienstes zu finden. Sollte er oder sie aber ein „säkularer“ Zeitgenosse sein, wird das gleichzeitige Vorkommen popularmusikaler Stile ihm signalisieren, dass er nicht in eine Kultur von gestern oder in ein hochkulturelles Niveaumilieu wechseln muss, um Christ zu werden.
Von ihren Ursprüngen her ist christliche Pop(ular)musik allerdings nicht in erster Linie missionarisch motiviert gewesen. Sie war damals in den 1960er und 70er Jahren zunächst schlicht Ausdrucksmittel von Christen für ihre christlichen Glaubensinhalte mit den Mitteln, die ihnen ihre Zeit und Kultur zur Verfügung stellte. Auch heute wird diese Musik – inzwischen weiter entwickelt und ausdifferenziert – eins der kulturell naheliegenden Ausdrucksmittel für authentischen Glauben im gegebenen Kontext sein können. Die kulturellen Formen, in denen Glaube gelebt wird, werden sich weiter ändern und von Land zu Land und Jahrhundert zu Jahrhundert unterschiedlich sein. Die Kirche und ihr Gottesdienst lebt immer in kontextualisierter Gestalt.(38)
Andererseits sollte selbstverständlich sein, dass eine Kirche, die der Kommunikation des Evangeliums verpflichtet ist, auch mit ihrer Kirchenmusik dieses Evangelium kommuniziert – nach innen wie nach außen, wobei Letzteres dann auch durchaus missionarisch gemeint sein
darf. Zeitgenössische Musik, die biblische Zentralinhalte ansprechend zum Ausdruck bringt, kann bei der Kommunikation des Evangeliums eine Hilfe sein – wie andererseits auch klassische Kirchenkonzerte, barocke Orgelmusik und kunstvoll singende Kantoreien Wege des Evangeliums zu entsprechend sozialisierten bzw. für Kunst und Kultur aufgeschlossenen Menschen sein können. Evangelikale Christen haben, wenn es um Gottesdienstbesuch und Gemeindewachstum ging, weltweit gute Erfahrungen damit gemacht, biblisch-profiliert in den Inhalten und zugleich flexibel in den kulturellen Ausdrucksformen zu sein.(39)
Die demographische Entwicklung wird es mit sich bringen, dass es künftig weniger junge Leute in der Gesellschaft – und damit tendenziell auch weniger junge Menschen in christlichen Gottesdiensten geben wird. Die Gemeinde der Zukunft wird in den nächsten Jahrzehnten – wie die Gesellschaft insgesamt – mehrheitlich aus immer älteren Menschen bestehen. Die integrative Gemeinde wird daher notwendig auch eine altenfreundliche Gemeinde sein. Sie sollte aber nicht eine Gemeinde werden, die nur den Stil – einschließlich des Musikstils – der Alten pflegt. Sonst verliert sie die rare Species der Jungen und der mitten im Leben Stehenden.(40) Eine integrative Gemeinde, die den Reichtum musikalischer Tradition hegt, der im Sieb der Zeit erhalten geblieben und nicht durchgefallen ist, und die zugleich musikalische Zeitgenossenschaft pflegt, ist mit ihrer Gottesdienstkultur für die demographischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gut gerüstet. P&W-Lieder – bzw. was davon übrig bleibt, wenn aus dem Glauben und der Kultur neue Stile entstehen – werden dazu einen Beitrag leisten können.
(1) Interview mit Marion Warrington am 28.03.2003, in: Steffen Weil, Die geschichtliche Entwicklung der neueren Anbetungslieder in Deutschland (Wiss. Hausarbeit, FTA Gießen, 2003), 95 (90-103).
(2) Im angelsächsischen Bereich (U.S.A., Neuseeland, England) war in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre v.a. im Rahmen Charismatischer Bewegungen und dann der Jesus-People-Bewegung eine Lobpreismusik im Softpop-Stil entstanden, die zunächst meist aus vertonten Bibeltexten bestand (vgl. den 1968 in Neuseeland von Dave und Dale Garrat gegründeten Musikverlag „Scripture in Song“, der bis in die frühen 1990er Jahre große Bedeutung für die Verbreitung von P&W hatte). Marion Warrington, Mitarbeiterin von `Jugend mit einer Mission´, begann 1970 diese Lieder in einer Musikwoche in der Schweiz einzuführen, komponierte in den frühen 1970er Jahren bekannte Anbetungslieder wie „Ich trau auf dich, o Herr“ und veranlasste die Übersetzung und Herausgabe vieler früher Anbetungslieder. – Parallel dazu wurden in den 1970er Jahren früh in charismatischen Kreisen, aber auch außerhalb, Lieder wie die folgenden Titel rezipiert bzw. komponiert und gesungen: „Sing halleluja to the Lord“; „Die Güte des Herrn hat kein Ende“; „Vater, ich will Dich preisen“; „Lass die Worte meines Mundes“; „Nimm ein das gute Land“; „Bind uns zusammen, Herr“; „Gottes Liebe ist wie die Sonne“; „Preist den Namen Jesus“; „Er ist Herr, er ist Herr, er ist auferstanden und er ist Herr“ u.v.a.; vgl. die Liederbücher Preist unsern Gott: Eine Sammlung neuer geistlicher Lieder, hrg. Hubertus Tommek (Berlin 1974); Singt von Jesus: Liederbuch des Deutschen Verbandes der Jugendbünde für entschiedenes Christentum (Kassel 1975); Lehre uns Herr (Hurlach 1977); Das gute Land: Ein Liederbuch von Jugend mit einer Mission (Hurlach 1980); Sein Ruhm unsere Freude, hrg. Joachim Cochlovius (Krelingen 1981).
(3) St. Weil, aaO.., 95
(4) Siehe http://www.ekd.de/advent_dezember/musik/vom_himmel_hoch.html., zuletzt eingesehen am 20.07.2011.
(5) Zitiert bei Stephan Holthaus, Heil – Heilung – Heiligung: Die Geschichte der deutschen Heiligungs- und Erweckungsbewegung (1874-1909), (Gießen 2005), 549; vgl. ebd., 516-550 zu den Liedern der Bewegung. Ernst Gebhardt hat rund 450 Erweckungslieder gedichtet, die vielfach heute noch in der Gemeinschaftsbewegung und v.a. in russlanddeutschen Gemeinden gesungen werden.
(6) Larry Norman, in: Only Visiting this Planet (1972): “I want the people to know that he saved my soul / But I still like to listen to the radio. / They say rock-n-roll is wrong, we´ll give you one more chance./ I say, `I feel so good I´ve gotta get up and dance´. / I know what´s right, I know what´s wrong, I don´t confuse it. / All I am trying to say is: Why should the devil have all the good music? / I feel good every day, ‘cause Jesus is the rock and he rolled my blues away.” – Zum Hintergrund: N.N., Jesus-People Report: `O Mann JESUS liebt dich´ (Wuppertal ³1972), 48-51.
(7) Siehe zu Keith Green http://de.wikipedia.org/wiki/Keith_Green sowie http://www.lastdaysministries.org; zuletzt eingesehen am 20.07.2011; sowie seine CD Keith Green: The Greatest Hits (Brentwood: Sparrow Records, 2008).
(8) Ernst Trachsel-Pauli, Geistliche Musik: Gibt es biblische Kriterien zur Beurteilung geistlichen Liedgutes? (Frutigen, ³1984); Horst Neumann, „Popmusik als neue Religion: Die religiöse Subkultur der jugendlichen Musikszene und ihre Unvereinbarkeit mit dem Bekenntnis zu dem Herrn Jesus Christus“, Diakrisis (8, Heft 3 Sept. 1987), 51-61; Jeff Godwin, Dancing with Demons: The Music´s real Master (Chino 1988); Dan Lucarini, Worship bis zum Abwinken: Bekenntnisse eines ehemaligen Lobpreisleiters (Oerlinghausen: Betanien, 2002 [42007]); Rudolf Ebertshäuser, Fremdes Feuer im Heiligtum Gottes: Der charismatische `Lobpreis´ aus biblischer Sicht (Oerlinghausen: Betanien, 2003); Adolf Graul, Rock-, Pop und Technomusik und ihre Wirkungen: Eine wissenschaftliche und biblische Untersuchung (Bielefeld: CLV, ²2010).
(9) K. Klek, „Evangelische Kirchenmusik: Schwarzbrot für morgen oder nur ein alter Zopf?“, in: H. Völkl, Kirchenmusik als Erbe und Auftrag. Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Hochschule für Kirchenmusik Esslingen (Stuttgart 1995), 34. – Otmar Schulz, „`Jubelt nicht unbedacht!´ Oder: Im Schlepptau des Pluralismus“, in: Uwe Swarat, Hrg., Das Lob Gottes bringt den Himmel zur Erde. Festschrift für Günter Balders (Wuppertal 2007), 107-123, der neueres evangelikales Liedgut von der „eingängige(n) Simpelmusik“ des Evangeliumsrundfunks und Janz-Teams der 1960er Jahre (111) bis zur neueren Anbetungsmusik als „simples Fast Food für die Seele“ (117) auf diesem Niveau kritisiert.
(10) So auf katholischer Seite der Kölner Erzbischof, Kardinal Frings, im Jahr 1965: „Spirituals und ähnliche Gesänge sowie schlager- und jazzähnliche Musik, wie sie heute vorliegt, erfüllen nicht die Forderungen, die an Kirchenmusik zu stellen sind, und passen nicht zur heiligen Messe“; zitiert bei Winfried Dalferth, Christliche Popularmusik als publizistisches Phänomen: Entstehung – Verbreitung – Rezeption, Studien zur christlichen Publizistik 2 (Erlangen 2000), 174.
(11) Hanns Kerner, „Zeit- und ewigkeitstauglich – Musikkultur(en) im Gottesdienst. Eine Einführung“, in: ders., Hrg., Musikkultur im Gottesdienst: Herausforderungen und Perspektiven (Leipzig: EVA, 2005), 18.
(12) Ralph Kunz, „Gottesdienst: ein Stück populärer Kultur?“, PTh 38 (3, 2003), 201.
(13) Wolfgang Teichmann, „Populäre Kirchenmusik“, in: Gotthard Fermor / Harald Schroeter-Wittke, Hrg., Kirchenmusik als religiöse Praxis: Praktisch-theologisches Handbuch zur Kirchenmusik (Leipzig: EVA, 2005), 90f.
(14) Global ist von etwa 460 Millionen evangelikalen Christen auszugehen, vgl. Stephan Holthaus, Die Evangelikalen: Fakten und Perspektiven (Lahr: johannis, 2007), 13-15.
(15) Vgl. Teichmann, aaO., 90-95.
(16) Eingehend dargestellt bei Heiko Stadelmann, Pop in der Kirche? Zum Verhältnis von populärer Musikkultur und Religion – am Beispiel des `Praise and Worship´ (Erste Staatsprüfung: Wiss. Hausarbeit im Fach Ev. Religion, Universität Marburg, 2010), 25-38. Vgl. auch Gotthard Fermor, Ekstasis: Das religiöse Erbe in der Popmusik als Herausforderung an die Kirche (Stuttgart u.a. 1999), 12f.132ff; und Friedemann Walldorf, „`There´s a better day a coming´: Afroamerikanische Musik als Inkulturation – eine historisch-missiologische Spurensuche”, Interkulturelle Theologie 34 (1/2008), 68-90.
(17) Walldorf, 70ff.
(18) Wiedergegeben bei Theo Lehmann, Negro Spirituals: Geschichte und Theologie (Neuhausen-Stuttgart 1996 [ursprüngl. Diss. Halle 1962]), 148. Es wird deutlich, dass die ekstatisch-erhebende (Neben-)Wirkung des Singens nicht ein Produkt afrikanischer Musik und Rhythmik darstellt, sondern sich schon beim calvinistischen Psalmengesang einstellte, wenn diese gequälten Menschen im Gesang ihren christlichen Glauben ausdrückten.
(19) Schon innerhalb der Erweckungs- und Heiligungsbewegung des 19. Jahrhunderts wurden diese `Spirituals´ im deutschsprachigen Raum mit Begeisterung rezipiert. So setzte sich der bekannte Liederdichter der Erweckten, Ernst H. Gebhardt [s.o. Fn. 5], anlässlich der Europa-Tournee der afroamerikanischen „Jubilee-Singers“ der Fisk-University / Nashville 1878 für das Bekanntwerden der Spiritual- bzw. Gospelmusik ein und veröffentlichte ihre Lieder; vgl. die von ihm hrg. Sammlung von Spirituals Jubiläumssänger: Ausgewählte amerikanische Negerlieder
in deutschem Gewand nebst andern beliebten Hymnen, hrg. Ernst Gebhardt (Basel : C.F. Spittler, 1878 [33. Aufl. 1907]).
(20) Wer in den emotionalisierenden `ekstatischen´ Elementen dieser Musik an sich schon genuin Religiöses sieht, würde nur bedingt von Entsakralisierung sprechen; vgl. G. Fermor, aaO., 238-241. Doch verliert ein solcher weiter Religionsbegriff, der jegliche emotionalen Transzendierungserlebnisse schon als religiös vereinnahmt und solchen „Transzendenz“-Erfahrungen christliche Deutungsmuster zugrunde legt, jegliche Trennschärfe. Kritisch dazu Heiko Stadelmann, 29ff.
(21) Selektiv seien hier nur genannt: Seit Ende der 1950er Jahre der Jugend-für-Christus-Chor und das Janz-Team; 1960 das Preisausschreiben der Evang. Akademie Tutzing und das preisgekrönte Lied „Danke“ des Bodo-Lucas-Chors; 1964 die Band „Living Stone“ der Christusträger; 1965 einflussreiche Konzerte der britischen christlichen Band „The Heralds“; seit 1966 im Hermann Schulte Verlag die „Songs der frohen Botschaft“ und das Fietz-Team; ab 1970 die Arrangements von Klaus Heizmann sowie die Liedermacherszene mit Namen wie Arno & Andreas, Manfred Siebald, Peter Strauch, Clemens Bittlinger; 1978 die Gründung des Verlags Pila Music mit Produzent Dieter Falk und Künstlern wie Cae Gauntt, Ararat, Chorlight (u.a.). Vgl. Andreas Malessa, Der neue Sound: Christliche Popmusik – Geschichte und Geschichten (Wuppertal: Brockhaus, 1980).
(22) Peter Wicke, „Popmusik“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allg. Enzyklopädie der Musik. Sachteil 7 (Mut-Que), hrg. Ludwig Finscher (Kassel 1997), 1692. – Die zeitweise vertretene Parallelsetzung und Gegenüberstellung von (softer) Popmusik und (harter) Rockmusik hat sich damit überlebt. Auch Rockmusik ist Teil der Pop(ular)musik.
(23) S. Ostwald, „`Gott möchte, dass Sie reich werden´: Amerikas Christen streiten über religiöse Populärkultur“, Neue Zürcher Zeitung (23. Okt. 2003 [http://www.nzz.ch/2003/10/23/fe/article949NS.html]).
(24) Interview mit Marion Warrington (28.03.2003), in: Steffen Weil, aaO. (s. Fn. 1), 94.
(25) Ebd., 96: „Die meisten Lieder waren selbstzentriert, kamen nicht weg von dieser Selbstzentriertheit hin zu einem gottzentrierten Inhalt“.
(26) Du bist Herr – Anbetungslieder, hrg. Martha und Helmut Trömel (Asslar, Bd. 1 1988; Bd. 2 1991; Bd. 3 1995; Bd. 4 2000; Textausgabe Asslar 2003).
(27) Interview mit Martha Trömel am 28.03.2003, in: Steffen Weil, Die geschichtliche Entwicklung der neueren Anbetungslieder in Deutschland (Wiss. Hausarbeit, FTA Gießen, 2003), 83 (79-89). Die Vorveröffentlichungsfassung des ersten Bandes von Du bist Herr hatte sie entsprechend „König ist Jesus allein“ genannt.
(28) Ebd., 83.
(29) Heiko Stadelmann, Pop in der Kirche?, 57-85.
(30) Nämlich So groß ist der Herr: Die schönsten Lobpreissongs, hrg. Arne Kopfermann (Asslar 2009). Der Verlag verheißt zudem, dass es sich um die „bekanntesten Lobpreissongs unserer Tage aus allen relevanten Liederbüchern der letzten 20 Jahre“ handele (http://www.gerth.de/index.php?id=details&sku=857435). Die Lieder aus den 1990er und 2000er Jahren sind entsprechend besonders zahlreich repräsentiert (insg. 122 der 178 Lieder).
(31) Heiko Stadelmann, aaO., 48 sowie 81f. – Am Rand der evangelikalen Szene überschreiten einige Gruppen, wie etwa die Jesus-Freaks auf ihren Freakstock-Festivals, den musikalisch eher gemäßigten Stil des P&W-Mainstream und inszenieren P&W im Stil von „Hip-Hop“, „Techno“ und „Hardcore“; vgl. Guido Baltes, „`Praise & Worship´- Musikstil oder mehr? Über Worte und Töne in einem wachsenden Randbereich der evangelischen Kirchenmusik“, in: Popularmusik und Kirche: Ist es Liebe? Das Verhältnis von Wort und Ton, hrg. Wolfgang Kabus (Frankfurt: P.Lang, 2006), 107.
(32) Kritisiert vor allem bei Nick Page / Andreas Malessa, Lobpreis wie Popcorn? Warum so viele Anbetungslieder so wenig Sinn ergeben (Witten: R.Brockhaus, 2008), 97.
(33) Die Kriterien der „Zeittauglichkeit“ und „Ewigkeitstauglichkeit“ für gottesdiensttaugliche Lieder beschreibt und diskutiert Hanns Kerner, „Zeit- und ewigkeitstauglich – Musikkultur(en) im Gottesdienst. Eine Einführung“, in: ders., Hrg., Musikkultur im Gottesdienst (Leipzig: EVA, 2005), 12ff.15ff.
(34) Vgl. Barry Liesch, The New Worship: Straight Talk on Music and the Church (5th printing of the 2nd ed. 2001, Grand Rapids: Baker, 2005), 44-49; siehe dazu auch Kol 3,16.
(35) Im angelsächsischen Sprachraum hat sich für das Konzept integrativer Gottesdienste der Begriff „blended worship“ eingebürgert; vgl. Robert E. Webber, Planning Blended Worship: The Creative Mixture of Old and New (Nashville: Abingdon, 1998).
(36) P&W-Musik wird – recht verstanden und integrativ praktiziert – nicht zum Türöffner für Ereignisse wie jene Techno-Messe, die bei Hanns Kerner beschrieben wird: „Neben dem Altar ein Ambo, an dem jemand in weißer Mantelalbe mit roter Stola spricht. Er predigt. Die Jugendlichen, so scheint es, hören aufmerksam zu. Doch nach dem Amen bricht die Hölle los: Technosound setzt ein. Brachiale Schallwellen fegen durch die Kirche und brechen sich an den Körpern. Schallwelle auf Schallwelle brandet durch den Raum. Die Jugendlichen sitzen längst nicht mehr in ihren Bänken. Sie stehen – nein, sie tanzen und recken die Arme hoch in die Luft. Eckig, bizarr, bewegen sie ihre Körper zum Technorhythmus […] alles klatscht und stampft begeistert, die Jugendlichen bewegen sich auf und nieder, so dass die Menschenmenge, vorher noch in einen Klangteppich eingehüllt, mir nun in ihrer Bewegung wie ein fliegender Teppich vorkommt, der mit stürmischer Geschwindigkeit durch die Lüfte saust. Alles scheint abzuheben! Alles vibriert! Ekstase!“; H. Kerner, „Zeit- und ewigkeitstauglich“, 8-9, in Aufnahme einer Beschreibung aus J. Neijenhuis, „Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. 3. Technomesse in der Lutherkirche“, ZGP, 6 (1998), 17-20.
(37) Vgl. dazu Harald Nikesch, Gottesdienst ohne Mauern: Die neutestamentliche Gemeinde und ihre Wirkung auf Gemeindeferne (Hammerbrücke: Jota, 2008), 39-124.
(38) Vgl. Stefan Schweyer, Kontextuelle Kirchentheorie: Eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Kirchenverständnis neuerer praktisch-theologischer Entwürfe (Zürich: TVZ, 2007); Paul G. Hiebert, Kultur und Evangelium: Schritte einer kritischen Kontextualisierung (Bad Liebenzell: VLM, 2005).
(39) Vgl. Helge Stadelmann, „Was Evangelikale gerne in den gesamtkirchlichen Dialog einbringen“, zur Debatte: Themen der Katholischen Akademie in Bayern, 37 (5/2007), 10: „Es gibt Kirchen, die gestatten sich im Umgang mit der Bibel und den Inhalten der Theologie ein erstaunliches Maß an Liberalität – sind aber zugleich strikt konservativ und traditionell in der Gestaltung ihres gottesdienstlichen Lebens. Und es gibt Gemeinden, die halten standhaft und – wenn man so will – `konservativ´ an biblischen Inhalten in Lehre und Ethos fest – sind aber zugleich erstaunlich modern (oder gar: postmodern) in ihren gemeindlich-gottesdienstlichen Ausdrucksformen. Zu letzterer Gruppe gehören tendenziell die Evangelikalen. Und sie verbinden dies mit einer starken, missionarisch motivierten Zuwendung zu den Menschen ihrer Zeit.“
(40) Nähere Überlegungen dazu in Helge Stadelmann, „Demographie und die Zukunft des Gemeindebaus: Perspektiven
für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts“, JETh, 20 (2006), 7-23.